Mittwoch, 28. September 2016

Lesetipp Oktober: Leonardo Padura, Ein perfektes Leben




Bildergebnis für Padura ein perfektes Leben


Treue Blogfolger, auf eine harte Probe habe ich Euch gestellt, kein Lesetipp mehr seit April. Der Sog zum Schreibprogramm war nicht stark genug, konnte sich nicht durchsetzen gegen die wilden Wellen des Lebens diesen Sommer. Allen voran das Erfahren von, Anfangen mit Schwelgen von, tatsächlich zugesagt bekommen und schließlich beziehen einer traumhaften SWM-Wohnung genau zwischen Bogenhausen und Haidhausen.  Das war Glück. Und kam so plötzlich, dass die langfristige Urlaubsplanung  fast schon zu viel wurde. Waren dann aber trotzdem super Wochen. Und Trambahnfahren im Schichtbetrieb musste ja auch noch hinein gepasst werden ins Leben ganz zu schweigen vom Weltgeschehen in Nizza, München und anderswo. Immerhin hat es zu einem Zeitungsartikel gereicht über die Wiesn, die jetzt auch schon abgefrühstückt ist also geht jetzt literarisch wieder was. Gelesen habe ich vieles, Hochgejubeltes, Seltsames, Berauschendes auch.

Weil aktuell ein guter Freund danach fragt, erzähle ich Euch zunächst von einem, der von Kuba erzählt. Leonardo Padura hat in den letzten Jahren einige Preise in seiner Heimat Kuba, Deutschland, Frankreich und Spanien bekommen, dadurch ist er ins Feuilletonvisir geraten und gilt plötzlich als „bedeutendster Autor Kubas.“  Besonders gelobt werden zur Zeit immer wieder seine vier Kriminalromane, die das „Havannaquartett“ genannt werden. Der Mittsechziger hat diese Krimis allerdings schon in den 90ern geschrieben, also nix mit aktuellem Spiegel des kubanischen Lebens.

Der erste Roman der vier heißt „Ein perfektes Leben“. Ein solches führt der Ermittlungsbeamte Teniente Mario Conde, genannt „El Conde“ in Havanna sicher nicht. Schon allein sein gewaltiger Alkoholkonsum, dort damals eher üblich, steht dem entgegen. Zwar versteht er sich bestens mit seinem Kampffisch Rufino, der macht allerdings auch nichts anderes als pausenlos Runden in seinem Glas zu drehen. Und wird jedes Mal nach seinem Ableben von einem gleichen Exemplar in dem Glas ersetzt, das immer den gleichen Namen erhält.  Anspruchsvollere Lebensabschnittsgefährten, so erfahren wir, hatte es in der Vergangenheit gegeben: sein Vorbild, der Großvater, sein Hund Robin. 

Der Fall, den er zu lösen hat führt ihn weiter in die Vergangenheit, die 70er Jahre, seine Schul- und Jugendzeit. Er kennt die Fallbeteiligten. Er erinnert sich gerne. Ein „Erinnerungsfetischist“, was wohl auch für den Autor gelten soll. Und so erfahren wir bunt pastellig geschilderte Lebenssituationen des karibischen Kommunismus des vergangenen Jahrhunderts. Das macht wirklich Spaß zu Lesen. Die Charaktere des Krimis vom Chef über die Kollegen zu den Zeugen und Nebenfiguren sind alle umfangreich mit einzigartigen, unmodischen, kantigen Eigenschaften ausgestattet, so liebevoll individuell geschildert, wie sie paradoxerweise nur in einem sozialistischen Leben sein können.  Die dem nordeuropäischen Karibikbild (Bounty, Jack Sparrow, Bacardi..) komplett widersprechende, jedem Kenner aber vertraute Antillenmelancholie, umrahmt von dem ewigen lästigen Winternordwind in Havanna ist das Hintergrundbild, in dem die Grübeleien des Teniente gut gedeihen. 

Die Story ist nicht mal so wichtig, letztlich eine Geschichte von Korruption und Macht, wie sie überall unabhängig von der gesellschaftlichen Organisation zu finden ist. Sie ist für den Autor erklärtermaßen nur der latinobunte Transportbus für sein Kubapanorama. Er malt es verträumt, resigniert und  die kommunistischen Umstände bedauernd.  Jedoch weder hetzerisch und feindselig noch ungerecht oder verbittert. Und – womöglich teils gegen seine Absicht – doch idyllisch und Sehnsucht erweckend.

Ein schönes Unterhaltungsbuch für alle, die Rum, Zigarren, Männerfreundschaft, starkschöne karibische Frauenfiguren und windverwehtes, bountyfreies, echtes Karibikfeeling mögen.

Montag, 11. Juli 2016

"Durst fressen Angst auf"

Zu der aktuell in München viel beachteten Debatte um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Wiesn ist am 30.6.2016 in der "Jungle World" #26 der Artikel : "Durst fressen Angst auf" erschienen: http://jungle-world.com/artikel/2016/26/54351.html . Natürlich hat der Leiter der Innenredaktion, Markus Ströhlein, wohlwollend ein bisschen redigiert. Hier ist mein ursprünglicher Text zu lesen.


Das Münchner Oktoberfest ist in seinen Ausmaßen und seinem Zuschnitt als Massentankstation der legalen Droge Alkohol  „eigentlich nicht veranstaltbar“. Das sagten Sicherheitsexperten der Münchner Polizei wenn sie unter sich waren bereits von 20 Jahren. Das Wiesn-Attentat von 1980 war da bereits erlebt und Islamistischer Terror noch kein Thema. Es fehlt an Evakuierungsflächen für die täglich ca. 380.000 Besucher, an ausreichend Rettungswegen für Feuerwehr und Krankenwagen, niemand weiß, wie viele oder welche Leute zu bestimmten Zeiten wo sind. Für die Polizei ebenso wie für viele Verantwortliche bei der Stadt München bedeutet es jedes Jahr einen tiefer Seufzer der Erleichterung am Ende der Wiesn: uff, außer ein paar Schlägereien und Taschendiebstählen wieder nichts Schlimmeres passiert.

Im April diesen Jahres wurde bekannt, dass die Stadt München ein neues Sicherheitskonzept etablieren wolle. Zu den nach 9/11 eingeführten Zufahrtsbeschränkungen und einer Art Bannmeile um das Festgelände, die „Theresienwiese“, sollten nun unter dem Eindruck der Anschläge von Paris und Brüssel Taschenkontrollen für alle Besucher,  Beschränkungen bei den Gepäckstücken wie z.B. Rucksäcken sowie ein „mobiler Zaun“, geschaffen werden, der im Falle der Überfüllung (die jährlich an mindestens 4 Tagen gegeben ist) geschlossen werden könne.

Das wäre eine eklatante Charakterveränderung des Festes gewesen, das man bisher ohne Zaun und Eintritt oder Kontrollen von allen Seiten zwanglos betreten und verlassen kann. Sofort wurden auch Sicherheitsexperten wie z.B. der Sicherheitschef des Flughafen Frankfurt zitiert, um die Untauglichkeit der Pläne zu belegen. Einerseits seien durchgängige Taschenkontrollen praktisch undurchführbar bei so vielen Besuchern, ein Zaun viel zu gefährlich im Falle einer Panik. Und andererseits wieder: „wenn wirklich einer einen Anschlag verüben will, dann wird er das trotz Zäunen schaffen.“ Halbherzig seien die Versuche allemal, z.B. einen Täter, wie den von Orlando, an einer Tat zu hindern.

Und es geht ums Geld. Ca. 1 Milliarde Euro werden etwa jährlich in zwei Wochen auf dem Oktoberfest umgesetzt. Keiner der Beteiligten will hier etwas gefährden durch Zugangsbeschränkungen der zahlungswilligen Kundschaft. So liest man inzwischen auf den offiziellen sites der Stadt nur noch von einer „Weiterentwicklung des bewährten Sicherheitskonzeptes“ (bewährt durch Glück?). Bezüglich Zaun oder kontrolliertem Gebiet wurde zügig zurückgerudert. Denn Allen, die etwas davon verstehen ist klar: wenn man die Wiesn sicher haben wollte, müsste man sie grundsätzlich überdenken.

Wieso gibt es in München kaum Lobby für mehr Sicherheit? Das Fest ist bei der Bevölkerung mehrheitlich extrem beliebt so wie es ist. Die immer wieder thematisierten Sodom-und-Gomorra-Zustände, die Clips von kotzenden und kollabierenden Jugendlichen kommen regelmäßig von Beobachtern und Medien von Außerhalb (RTL und Co). Münchner Medien zählen lieber Besucher, Mass und „Hendl“ und berichten live aus den Zelten. Das kann damit zusammen hängen, dass das Oktoberfest einen ganz erstaunlichen Partizipationsmechanismus für fast alle hat, die damit zu tun haben. Durch einen historisch entwickelten Lokalprotektionismus und ein Aufsichtsdiktat der Stadt München, die bis auf eine kurze Unterbrechung in den 80er Jahren immer eine SPD-Insel im CSU-Land war, scheint das Fest eine letzte Rückzugsfläche der sozialen Marktwirtschaft zu sein, wie es sie vor allem in der Gastronomie sonst nicht mehr gibt. Auf der Wiesn mit zu mischen ist extrem begehrt. Bedienung wird man in den meisten Zelten nur über Connections. Um einen Platz als Karussel, Bude oder Bierzelt bewerben sich Hunderte. Warum: Am Bier und dem Drumherum verdienen hier alle gut.

Das gilt für die Brauereien, die ihre Zeltpräsenz wider jegliches Kartell- und Complianceverständnis dadurch sicher haben, dass nur „Münchner Bier“ zugelassen ist – gebraut innerhalb der Stadtgrenze.  So drängt z.B. Luitpold von Bayern, dessen Vorfahre das Fest schließlich als seine Hochzeitsparty vor 200 Jahren eingeführt hat - mit seiner „Schlossbrauerei Kaltenberg“ seit Jahren verbissen und vergeblich darauf, zugelassen zu werden. Ebenso wie z.B. die Andechser Klosterbrauerei (50 km vor München) oder die staatliche Universitätsbrauerei Weihenstephan (20 km) wird der Prinz regelmäßig abgelehnt vom Münchner Tourismusamt. Was auch ein bisschen lustig ist, denn die vierzehn Bierzelte beliefern dadurch letztlich vier Großbrauereien, von denen nur Augustiner noch „Münchnerisch“ ist. Löwenbräu und Spaten gehören zur Inbev, dem weltweit größten Brauereikonzern (u. a. Anheuser-Busch, Becks, Diebels) der wiederum dem Kapitalinvestor 3G Capital gehört (wie Burger King und Heinz), Paulaner und Hacker-Pschorr gehören zur Hälfte der Heineken-Gruppe, die auch nicht gerade ein altmünchner Unternehmen ist.

Weitere Großverdiener sind die „Wiesnwirte“, die Chefs der Bierzelte. Trotz riesigem Aufwand für Aufbau, Abbau und Lagerung der „Zelte“, die in Wirklichkeit robuste temporäre Holzbauten sind, (deutlich solider als die Traglufthallen für fugitives) wird deren Gewinn pro Jahr auf etwa eine Million pro großem Zelt geschätzt. In 16 bis 18 Tagen immerhin. Die Stadt und Staat achten genau darauf, dass Steuern gezahlt und Arbeitsstandards eingehalten werden: sehr prominente Wirte haben ihre Zulassung wegen entsprechender Verfehlungen verloren. Doch auch die Bedienungen, das letzte Glied in der Lieferkette bis zum Trinker lieben den Job und wer einmal dabei ist, macht in der Regel auch im folgenden Jahr wieder mit. Nicht wenige nehmen dafür Urlaub. Die Kellner_innen sind nicht angestellt sondern kaufen dem Wirt jede Mass Bier in Form von „Bierzeichen“ ab und behalten am Ende jeweils etwa einen Euro plus Trinkgeld. Zwischen 5 und 8 Tausend Euro Gewinn pro Kellner_in können da schon zusammen kommen. Klar, dass da Mindestlohn und Dokumentation der Arbeitszeit kein Thema sind. So etwas wäre in Bayern auch kein Problem: Arbeitsministerin Emilia Müller erließ 2015 ganz schnell ein paar Sonderregelungen extra für das Saufgelage, mit denen der „Schutzaspekt des Arbeitszeitgesetzes erfüllt“ sei – ohne dass seine Bestimmungen umgesetzt werden müssen.

Selbst bei den Gästen sind die Einheimischen protegiert: 65% der Plätze in den Bierzelten, an Wochenenden sogar  85%, sind vorreserviert. Eine Reservierung kostet zwar nichts extra. Eine zu bekommen ist für Ahnungslose oder Nicht-Münchner aber ziemlich unmöglich. Zunächst bekommen alle die ein Angebot, die bereits im Vorjahr eine Reservierung hatten. Alle anderen können im Frühjahr mailen, schreiben oder faxen, allein die Chancen sind nicht groß. Traditionell gehen Münchner Unternehmen, vor allem auch Mittelständler und Handwerksbetriebe mit den Mitarbeitern seit jeher auf die Wiesn. Je nach wirtschaftlicher Lage zahlt der Chef alles oder es werden vorab Gutscheine verteilt.

So ist für Münchner das ganze Ding super eingefädelt: alles bleibt, wie’s ist, man kann prima verdienen, wer drin ist bleibt drin. Inclusive der lokalen Schwulen und Lesbenszene, die ihr Lieblingszelt, die „Bräurosl“ hat und spezielle Tage, an denen man auch ganz andere Lederhosen sieht, hat Jede und Jeder scheinbar seinen Spaß. Sogar die Profitverteilung scheint vergleichsweise fair. Und (für München) nicht einmal sehr teuer ist es: eine Mass (ca. 0,9 l)kostet um die 11 Euro je nach Zelt. Und 5,50 € zahlt man in den Clubs in der Innenstadt für ein 0,4l Becks allemal. Die poshen Läden „Käfer“ und „Weinzelt“ überlassen die Münchner gerne der FC Bayern- und Bussisociety, passt schon. Wer „draufzahlt“, das sind höchstens die Unerfahrenen unter den Touristen, die begeistert angereist kommen, in der Stadt viel Geld lassen und denen keiner das Oktoberfest erklärt. Ohne einheimische Freunde gelangen sie „wegen Überfüllung“ oft gar nicht erst in die Bierzelte. Damit nicht vertraut vertragen sie dann das heftige Festbier nicht, geben es wieder von sich und somit die Motive für RTL2 Wiesnhasser-Reportagen ab. Übrigens: eine Bedienung in einem Bierzelt bringt nur Bier. Wer da glaubt, nach einer Getränkekarte fragen zu müssen erntet gleich mal höhnisches Gegröle derer, die schon immer da sind.

Ein neues Sicherheitskonzept? Kaum, weil ändern soll sich nichts. Und wahrscheinlich ist dieser spezielle Feierkonservatismus zu träg-fidel, das System zu stabil und selbstverliebt. Man kann hier einfach nicht glauben kann, dass „uns“ jemand etwas antut, Paris hin, Brüssel her. Der erste Trinkspruch jedes Jahr, ausgesprochen vom Oberbürgermeister muss reichen: „Ozapft is - auf eine friedliche Wiesn!“.




Dienstag, 12. April 2016

Lesetipp April: Jungle World – Die Linke Wochenzeitung aus Berlin



Unabhängige Informationen zu den Themen, die jeden beschäftigen, Standpunkte abseits des SZ/FAZ/Zeit – Mainstream, Hintergründe, über die ARDZDFPRO7SAT1 nicht sprechen: Mein Tipp im April ist ausnahmsweise kein Buch sondern eine Wochenzeitung.

Jungle World ist eine politische linke Wochenzeitung, die seit 1997 in Berlin erscheint. Sie ist aus einem Streit/Arbeitskampf um die inhaltliche Ausrichtung der Tageszeitung „Junge Welt“ entstanden, in dessen Folge die Mehrheit der damaligen Redaktion um den gekündigten Chefredakteur Klaus Behnken „Jungle World“ zunächst als Streikzeitung gründeten. Die „Junge Welt“ war in der DDR das Organ der FDJ gewesen und die Geschäftsführung sah sich nach wie vor dogmatisch marxistisch verpflichtet, die Mehrheit der Redaktion strebte in eine undogmatisch linke Richtung .  Laut Wikipedia wurde die „Jungle World“ zunächst in einer Berliner WG „in der früher die Band Ton Steine Scherben gewohnt hatte“ und auf „geliehenen Computern“ produziert. Seit mittlerweile fast 20 Jahren also gibt es die Jungle World einmal pro Woche. Die Auflage beträgt etwa 16.000, die Zeitung finanziert sich ganz überwiegend – bitte merken – über die Abos.

Jungle World ist konsequent und ernsthaft crossmedial. Wenn man will, wenig Geld hat oder den "Jungles" keines gönnt bekommt man den kompletten Inhalt der jeweils aktuellen Ausgabe sowie ein umfassendes Archiv für alle Ausgaben seit 1997 auf Jungle-World.com umsonst. Lediglich die Magazinbeilage „Dschungel“ ist nicht online. Die facebook – Präsenz ist immer aktuell und gepflegt und Jungle World twittert auch.

Richtig Spaß macht mir allerdings die print-Ausgabe: 20 Seiten in einem kompakten Tageszeitungsformat, klassisches TZ-Papier und 4c. Aufgeräumtes Layout (rebrush 2016), schönes Schriftbild, sauber gegliedert in die Teile Thema, Inland, Reportage und Ausland sowie den festen Abbindern „Antifa“ und „Hotspot“ erschließt sich das Blatt sofort und nach wenigen Ausgaben fühlt man sich richtig zu Hause darin. Die Titelseite reisst das jeweilige „Thema“ sowie weitere Inhalte knackig auf, hat ein anziehendes Titelbild und verweist auf die Magazinbeilage „Dschungel“. Die Meinungsseite heisst hier „Disko“ und ist eng mit der website verknüpft. Zwei mal gefaltet ist die Jungle World das ideale „Was zum Lesen“ für die Wendezeiten an den Trambahnendstationen, liebe KollegInnen, oder sonstige Kurzpausen im Leben.

Was steht drin? Das „Thema“ genannte Leitthema ist immer genau aktuell, am 7.April war es der beleidigte Erdogan – „Heul doch“, am 31. März zum Beispiel der europäische Terror –„Angriff auf die Grauzone“.  Das Thema des „Themas“ wird jedesmal umfassend und von allen Seiten angeschaut. Dabei kommen Aspekte zur Sprache, die man nicht automatisch gleich im Blick hat und, entscheidend, die man in den mainstream Medien nicht findet. Zum Terror in Europa erklärt der Korrespondent in Brüssel Torsten Fuchshuber z.B. umfassend, was die Strategie des IS in Europa ist und auf welche Quellen sie zurück geht. Die Informationstiefe und Quellengenauigkeit von Fuchshubers Bericht ist verblüffend. Er verwertet sowohl Informationen aus internationalen Medien als auch von politikwissenschaftlichen Instituten weltweit. Heraus kommt ein Bild, das dem Leser (mir jedenfalls) ein „aha, endlich kapier‘ ich das mal“ entlockt. Diese „Tiefeninformation“ , äusserst genau und dabei leicht verständlich, kennzeichnet die Berichte der „Jungle Wold“. Man weiß hinterher wirklich mehr! Weitere Perspektiven auf den Terror in Europa waren z.B.: sicherheitspolitische Probleme in Belgien, muslimische Jungendliche in Brüssel, Behördenversagen. Und so multiperspektivisch sind die Themen immer aufbereitet.

Die einzelnen Berichte im „Inland“  sind ebenso tief recherchiert, genau belegt und immer von extrem kenntnisreichen Autoren. Die politische Ausrichtung äussert sich in den Artikeln selten polemisch, sie steuert eher die Themenauswahl. NSU-Ausschuss im Brandenburger Landtag, das AfD-Wahlergebnis und der Tourismus in Thüringen, Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, Sicherheits- und Feelingthematik in Kreuzberg am Kottbusser Tor. (Ja, es ist ein Nordost/Südwest Gefälle feststellbar, aber  Bayern und BW kommen schon auch mal vor.)

Die „Reportage“ und „Ausland“ bieten eine solche Menge von internationaler Korrespondenz, wie z. B. die SZ schon lange nicht mehr. Dabei geht es immer um Menschen, die die Auswirkungen von Politik zu spüren bekommen: Anwohner eines ausgetrockneten Sees in Bolivien, Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen in Frankreich, Widerstand gegen die Freihandelsabkommen in USA, die jüdische Gemeinde in Venedig. Themen wie gesagt, die man sonst kaum irgendwo findet.  Für Weitgereiste und solche, die gerne in globalen Zusammenhängen denken wunderschöne Leseerlebnisse.

Absolut unique ist auch das beiliegende Magazin „Dschungel“. Aktuell z.B. als Literaturbesprechungsthema ein Comicautor, sportlich ein hochrespektvoller Nachruf auf Johann Cruyff – wieder mit kenntnisreichem Bogen bis Pep Guardiola - und als Medien-Thema eine Aufklärung über die Gesetzesänderung zum Urheberrecht. Erneut ein „das habe ich so nicht gewusst“ beim Leser. Da stehen Dinge drin, die sonst nirgends stehen!

Was ist nun mit der politischen Ausrichtung? Können nur linksorientierte Menschen die Jungle World lesen? Eindeutig nein.  Und ja, die Zeitung bezieht klar Stellung und bezeichnet sich als: dezidiert nicht antizionistisch, nicht antisemitisch und nicht antiamerikanisch . Nicht anti? Genau! Wohltuend konstruktiv und liebevoll mit den Menschen, besonders den mittellosen und chancenarmen im jeweiligen Kontext empfinde ich Jungle World. Information und Kommentar sind immer klar kenntlich und getrennt. Der Redaktion liegen Gerechtigkeit und ursprüngliche demokratische Ideale am Herzen. Klar sind sie Berliner Linke. Für den bürgerlichen Leser, wenn er denn erstens Wert legt auf tiefgreifende, nachplapperfreie und direkt von der Quelle kommende Information und zweitens Perspektiven schätzt, die Judith Rakers und Klaus Kleber nicht einnehmen, der gut unterhalten werden will, der Spaß an einer pfiffigen, engagierten Sprache hat, für den dürfte das „Linke“ an der Jungle World nicht hinderlich sein. Für uns andere fühlt es sich einfach gut an zu merken, da ist tatsächlich eine weit überdurchschnittlich kompetente Redaktion, die macht es sich zur Aufgabe, über die Dinge zu informieren, die zu wissen eine Voraussetzung dafür ist, das man etwas ändern will und kann.

So, und wer bis hierher mitgelesen hat, der könnte doch jetzt gleich ein Probeabo abschließen: http://jungle-world.com/abo