Unabhängige Informationen zu den
Themen, die jeden beschäftigen, Standpunkte abseits des SZ/FAZ/Zeit –
Mainstream, Hintergründe, über die ARDZDFPRO7SAT1 nicht sprechen: Mein Tipp im
April ist ausnahmsweise kein Buch sondern eine Wochenzeitung.
Jungle World
ist eine politische linke Wochenzeitung, die seit 1997 in Berlin erscheint. Sie
ist aus einem Streit/Arbeitskampf um die inhaltliche Ausrichtung der
Tageszeitung „Junge Welt“ entstanden, in dessen Folge die Mehrheit der damaligen Redaktion
um den gekündigten Chefredakteur Klaus Behnken „Jungle World“ zunächst als Streikzeitung gründeten. Die „Junge Welt“
war in der DDR das Organ der FDJ gewesen und die Geschäftsführung sah sich nach
wie vor dogmatisch marxistisch verpflichtet, die Mehrheit der Redaktion strebte
in eine undogmatisch linke Richtung . Laut Wikipedia wurde die „Jungle World“
zunächst in einer Berliner WG „in der früher die Band Ton Steine Scherben gewohnt
hatte“ und auf „geliehenen Computern“ produziert. Seit mittlerweile fast 20
Jahren also gibt es die Jungle World einmal pro Woche. Die Auflage beträgt etwa
16.000, die Zeitung finanziert sich ganz überwiegend – bitte merken – über die
Abos.
Jungle World ist konsequent und
ernsthaft crossmedial. Wenn man will, wenig Geld hat oder den "Jungles" keines
gönnt bekommt man den kompletten Inhalt der jeweils aktuellen Ausgabe sowie ein
umfassendes Archiv für alle Ausgaben seit 1997 auf Jungle-World.com umsonst.
Lediglich die Magazinbeilage „Dschungel“ ist nicht online. Die facebook –
Präsenz ist immer aktuell und gepflegt und Jungle World twittert auch.
Richtig Spaß macht mir allerdings die print-Ausgabe: 20 Seiten in einem kompakten Tageszeitungsformat,
klassisches TZ-Papier und 4c. Aufgeräumtes Layout (rebrush 2016), schönes
Schriftbild, sauber gegliedert in die Teile Thema, Inland, Reportage und
Ausland sowie den festen Abbindern „Antifa“ und „Hotspot“ erschließt sich das
Blatt sofort und nach wenigen Ausgaben fühlt man sich richtig zu Hause darin.
Die Titelseite reisst das jeweilige „Thema“ sowie weitere Inhalte knackig auf,
hat ein anziehendes Titelbild und verweist auf die Magazinbeilage „Dschungel“.
Die Meinungsseite heisst hier „Disko“ und ist eng mit der website verknüpft.
Zwei mal gefaltet ist die Jungle World das ideale „Was zum Lesen“ für die
Wendezeiten an den Trambahnendstationen, liebe KollegInnen, oder sonstige
Kurzpausen im Leben.
Was steht drin? Das „Thema“ genannte
Leitthema ist immer genau aktuell, am 7.April war es der beleidigte Erdogan – „Heul
doch“, am 31. März zum Beispiel der europäische Terror –„Angriff auf die
Grauzone“. Das Thema des „Themas“ wird
jedesmal umfassend und von allen Seiten angeschaut. Dabei kommen Aspekte zur
Sprache, die man nicht automatisch gleich im Blick hat und, entscheidend, die
man in den mainstream Medien nicht findet. Zum Terror in Europa erklärt der Korrespondent
in Brüssel Torsten Fuchshuber z.B. umfassend, was die Strategie des IS in
Europa ist und auf welche Quellen sie zurück geht. Die Informationstiefe und
Quellengenauigkeit von Fuchshubers Bericht ist verblüffend. Er verwertet sowohl
Informationen aus internationalen Medien als auch von politikwissenschaftlichen
Instituten weltweit. Heraus kommt ein Bild, das dem Leser (mir jedenfalls) ein „aha,
endlich kapier‘ ich das mal“ entlockt. Diese „Tiefeninformation“ , äusserst
genau und dabei leicht verständlich, kennzeichnet die Berichte der „Jungle Wold“.
Man weiß hinterher wirklich mehr! Weitere Perspektiven auf den Terror in Europa
waren z.B.: sicherheitspolitische Probleme in Belgien, muslimische Jungendliche
in Brüssel, Behördenversagen. Und so multiperspektivisch sind die Themen immer
aufbereitet.
Die einzelnen Berichte im „Inland“ sind ebenso tief recherchiert, genau belegt und immer von extrem
kenntnisreichen Autoren. Die politische Ausrichtung äussert sich in den
Artikeln selten polemisch, sie steuert eher die Themenauswahl. NSU-Ausschuss im
Brandenburger Landtag, das AfD-Wahlergebnis und der Tourismus in Thüringen,
Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, Sicherheits- und Feelingthematik in
Kreuzberg am Kottbusser Tor. (Ja, es ist ein Nordost/Südwest Gefälle feststellbar,
aber Bayern und BW kommen schon auch mal
vor.)
Die „Reportage“ und „Ausland“ bieten
eine solche Menge von internationaler Korrespondenz, wie z. B. die SZ schon
lange nicht mehr. Dabei geht es immer um Menschen, die die Auswirkungen von
Politik zu spüren bekommen: Anwohner eines ausgetrockneten Sees in Bolivien,
Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen in Frankreich, Widerstand gegen die
Freihandelsabkommen in USA, die jüdische Gemeinde in Venedig. Themen wie
gesagt, die man sonst kaum irgendwo findet. Für
Weitgereiste und solche, die gerne in globalen Zusammenhängen denken
wunderschöne Leseerlebnisse.
Absolut unique ist auch das
beiliegende Magazin „Dschungel“. Aktuell z.B. als Literaturbesprechungsthema ein Comicautor,
sportlich ein hochrespektvoller Nachruf auf Johann Cruyff – wieder mit kenntnisreichem
Bogen bis Pep Guardiola - und als Medien-Thema eine Aufklärung über die
Gesetzesänderung zum Urheberrecht. Erneut ein „das habe ich so nicht gewusst“
beim Leser. Da stehen Dinge drin, die sonst nirgends stehen!
Was ist nun mit der politischen Ausrichtung?
Können nur linksorientierte Menschen die Jungle World lesen? Eindeutig nein. Und ja, die Zeitung bezieht klar Stellung und
bezeichnet sich als: dezidiert nicht antizionistisch, nicht antisemitisch und nicht
antiamerikanisch . Nicht anti? Genau! Wohltuend konstruktiv und liebevoll mit
den Menschen, besonders den mittellosen und chancenarmen im jeweiligen Kontext
empfinde ich Jungle World. Information und Kommentar sind immer klar kenntlich und getrennt. Der Redaktion liegen Gerechtigkeit und ursprüngliche
demokratische Ideale am Herzen. Klar sind sie Berliner Linke. Für den bürgerlichen
Leser, wenn er denn erstens Wert legt auf tiefgreifende, nachplapperfreie und direkt
von der Quelle kommende Information und zweitens Perspektiven schätzt, die Judith Rakers
und Klaus Kleber nicht einnehmen, der gut unterhalten werden will, der Spaß an
einer pfiffigen, engagierten Sprache hat, für den dürfte das „Linke“ an der Jungle
World nicht hinderlich sein. Für uns andere fühlt es sich einfach gut an zu
merken, da ist tatsächlich eine weit überdurchschnittlich kompetente Redaktion,
die macht es sich zur Aufgabe, über die Dinge zu informieren, die zu wissen
eine Voraussetzung dafür ist, das man etwas ändern will und kann.
So, und wer bis hierher mitgelesen
hat, der könnte doch jetzt gleich ein Probeabo abschließen:
http://jungle-world.com/abo
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