Dienstag, 12. April 2016

Lesetipp April: Jungle World – Die Linke Wochenzeitung aus Berlin



Unabhängige Informationen zu den Themen, die jeden beschäftigen, Standpunkte abseits des SZ/FAZ/Zeit – Mainstream, Hintergründe, über die ARDZDFPRO7SAT1 nicht sprechen: Mein Tipp im April ist ausnahmsweise kein Buch sondern eine Wochenzeitung.

Jungle World ist eine politische linke Wochenzeitung, die seit 1997 in Berlin erscheint. Sie ist aus einem Streit/Arbeitskampf um die inhaltliche Ausrichtung der Tageszeitung „Junge Welt“ entstanden, in dessen Folge die Mehrheit der damaligen Redaktion um den gekündigten Chefredakteur Klaus Behnken „Jungle World“ zunächst als Streikzeitung gründeten. Die „Junge Welt“ war in der DDR das Organ der FDJ gewesen und die Geschäftsführung sah sich nach wie vor dogmatisch marxistisch verpflichtet, die Mehrheit der Redaktion strebte in eine undogmatisch linke Richtung .  Laut Wikipedia wurde die „Jungle World“ zunächst in einer Berliner WG „in der früher die Band Ton Steine Scherben gewohnt hatte“ und auf „geliehenen Computern“ produziert. Seit mittlerweile fast 20 Jahren also gibt es die Jungle World einmal pro Woche. Die Auflage beträgt etwa 16.000, die Zeitung finanziert sich ganz überwiegend – bitte merken – über die Abos.

Jungle World ist konsequent und ernsthaft crossmedial. Wenn man will, wenig Geld hat oder den "Jungles" keines gönnt bekommt man den kompletten Inhalt der jeweils aktuellen Ausgabe sowie ein umfassendes Archiv für alle Ausgaben seit 1997 auf Jungle-World.com umsonst. Lediglich die Magazinbeilage „Dschungel“ ist nicht online. Die facebook – Präsenz ist immer aktuell und gepflegt und Jungle World twittert auch.

Richtig Spaß macht mir allerdings die print-Ausgabe: 20 Seiten in einem kompakten Tageszeitungsformat, klassisches TZ-Papier und 4c. Aufgeräumtes Layout (rebrush 2016), schönes Schriftbild, sauber gegliedert in die Teile Thema, Inland, Reportage und Ausland sowie den festen Abbindern „Antifa“ und „Hotspot“ erschließt sich das Blatt sofort und nach wenigen Ausgaben fühlt man sich richtig zu Hause darin. Die Titelseite reisst das jeweilige „Thema“ sowie weitere Inhalte knackig auf, hat ein anziehendes Titelbild und verweist auf die Magazinbeilage „Dschungel“. Die Meinungsseite heisst hier „Disko“ und ist eng mit der website verknüpft. Zwei mal gefaltet ist die Jungle World das ideale „Was zum Lesen“ für die Wendezeiten an den Trambahnendstationen, liebe KollegInnen, oder sonstige Kurzpausen im Leben.

Was steht drin? Das „Thema“ genannte Leitthema ist immer genau aktuell, am 7.April war es der beleidigte Erdogan – „Heul doch“, am 31. März zum Beispiel der europäische Terror –„Angriff auf die Grauzone“.  Das Thema des „Themas“ wird jedesmal umfassend und von allen Seiten angeschaut. Dabei kommen Aspekte zur Sprache, die man nicht automatisch gleich im Blick hat und, entscheidend, die man in den mainstream Medien nicht findet. Zum Terror in Europa erklärt der Korrespondent in Brüssel Torsten Fuchshuber z.B. umfassend, was die Strategie des IS in Europa ist und auf welche Quellen sie zurück geht. Die Informationstiefe und Quellengenauigkeit von Fuchshubers Bericht ist verblüffend. Er verwertet sowohl Informationen aus internationalen Medien als auch von politikwissenschaftlichen Instituten weltweit. Heraus kommt ein Bild, das dem Leser (mir jedenfalls) ein „aha, endlich kapier‘ ich das mal“ entlockt. Diese „Tiefeninformation“ , äusserst genau und dabei leicht verständlich, kennzeichnet die Berichte der „Jungle Wold“. Man weiß hinterher wirklich mehr! Weitere Perspektiven auf den Terror in Europa waren z.B.: sicherheitspolitische Probleme in Belgien, muslimische Jungendliche in Brüssel, Behördenversagen. Und so multiperspektivisch sind die Themen immer aufbereitet.

Die einzelnen Berichte im „Inland“  sind ebenso tief recherchiert, genau belegt und immer von extrem kenntnisreichen Autoren. Die politische Ausrichtung äussert sich in den Artikeln selten polemisch, sie steuert eher die Themenauswahl. NSU-Ausschuss im Brandenburger Landtag, das AfD-Wahlergebnis und der Tourismus in Thüringen, Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, Sicherheits- und Feelingthematik in Kreuzberg am Kottbusser Tor. (Ja, es ist ein Nordost/Südwest Gefälle feststellbar, aber  Bayern und BW kommen schon auch mal vor.)

Die „Reportage“ und „Ausland“ bieten eine solche Menge von internationaler Korrespondenz, wie z. B. die SZ schon lange nicht mehr. Dabei geht es immer um Menschen, die die Auswirkungen von Politik zu spüren bekommen: Anwohner eines ausgetrockneten Sees in Bolivien, Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen in Frankreich, Widerstand gegen die Freihandelsabkommen in USA, die jüdische Gemeinde in Venedig. Themen wie gesagt, die man sonst kaum irgendwo findet.  Für Weitgereiste und solche, die gerne in globalen Zusammenhängen denken wunderschöne Leseerlebnisse.

Absolut unique ist auch das beiliegende Magazin „Dschungel“. Aktuell z.B. als Literaturbesprechungsthema ein Comicautor, sportlich ein hochrespektvoller Nachruf auf Johann Cruyff – wieder mit kenntnisreichem Bogen bis Pep Guardiola - und als Medien-Thema eine Aufklärung über die Gesetzesänderung zum Urheberrecht. Erneut ein „das habe ich so nicht gewusst“ beim Leser. Da stehen Dinge drin, die sonst nirgends stehen!

Was ist nun mit der politischen Ausrichtung? Können nur linksorientierte Menschen die Jungle World lesen? Eindeutig nein.  Und ja, die Zeitung bezieht klar Stellung und bezeichnet sich als: dezidiert nicht antizionistisch, nicht antisemitisch und nicht antiamerikanisch . Nicht anti? Genau! Wohltuend konstruktiv und liebevoll mit den Menschen, besonders den mittellosen und chancenarmen im jeweiligen Kontext empfinde ich Jungle World. Information und Kommentar sind immer klar kenntlich und getrennt. Der Redaktion liegen Gerechtigkeit und ursprüngliche demokratische Ideale am Herzen. Klar sind sie Berliner Linke. Für den bürgerlichen Leser, wenn er denn erstens Wert legt auf tiefgreifende, nachplapperfreie und direkt von der Quelle kommende Information und zweitens Perspektiven schätzt, die Judith Rakers und Klaus Kleber nicht einnehmen, der gut unterhalten werden will, der Spaß an einer pfiffigen, engagierten Sprache hat, für den dürfte das „Linke“ an der Jungle World nicht hinderlich sein. Für uns andere fühlt es sich einfach gut an zu merken, da ist tatsächlich eine weit überdurchschnittlich kompetente Redaktion, die macht es sich zur Aufgabe, über die Dinge zu informieren, die zu wissen eine Voraussetzung dafür ist, das man etwas ändern will und kann.

So, und wer bis hierher mitgelesen hat, der könnte doch jetzt gleich ein Probeabo abschließen: http://jungle-world.com/abo

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