Das Münchner Oktoberfest ist in
seinen Ausmaßen und seinem Zuschnitt als Massentankstation der legalen Droge
Alkohol „eigentlich nicht veranstaltbar“.
Das sagten Sicherheitsexperten der Münchner Polizei wenn sie unter sich waren
bereits von 20 Jahren. Das Wiesn-Attentat von 1980 war da bereits erlebt und
Islamistischer Terror noch kein Thema. Es fehlt an Evakuierungsflächen für die
täglich ca. 380.000 Besucher, an ausreichend Rettungswegen für Feuerwehr und
Krankenwagen, niemand weiß, wie viele oder welche Leute zu bestimmten Zeiten wo
sind. Für die Polizei ebenso wie für viele Verantwortliche bei der Stadt München
bedeutet es jedes Jahr einen tiefer Seufzer der Erleichterung am Ende der
Wiesn: uff, außer ein paar Schlägereien und Taschendiebstählen wieder nichts
Schlimmeres passiert.
Im April diesen Jahres wurde bekannt,
dass die Stadt München ein neues Sicherheitskonzept etablieren wolle. Zu den
nach 9/11 eingeführten Zufahrtsbeschränkungen und einer Art Bannmeile um das
Festgelände, die „Theresienwiese“, sollten nun unter dem Eindruck der Anschläge
von Paris und Brüssel Taschenkontrollen für alle Besucher, Beschränkungen bei den Gepäckstücken wie z.B.
Rucksäcken sowie ein „mobiler Zaun“, geschaffen werden, der im Falle der
Überfüllung (die jährlich an mindestens 4 Tagen gegeben ist) geschlossen werden
könne.
Das wäre eine eklatante Charakterveränderung
des Festes gewesen, das man bisher ohne Zaun und Eintritt oder Kontrollen von
allen Seiten zwanglos betreten und verlassen kann. Sofort wurden auch
Sicherheitsexperten wie z.B. der Sicherheitschef des Flughafen Frankfurt
zitiert, um die Untauglichkeit der Pläne zu belegen. Einerseits seien
durchgängige Taschenkontrollen praktisch undurchführbar bei so vielen
Besuchern, ein Zaun viel zu gefährlich im Falle einer Panik. Und andererseits
wieder: „wenn wirklich einer einen Anschlag verüben will, dann wird er das trotz
Zäunen schaffen.“ Halbherzig seien die Versuche allemal, z.B. einen Täter, wie
den von Orlando, an einer Tat zu hindern.
Und es geht ums Geld. Ca. 1 Milliarde
Euro werden etwa jährlich in zwei Wochen auf dem Oktoberfest umgesetzt. Keiner
der Beteiligten will hier etwas gefährden durch Zugangsbeschränkungen der
zahlungswilligen Kundschaft. So liest man inzwischen auf den offiziellen sites
der Stadt nur noch von einer „Weiterentwicklung des bewährten
Sicherheitskonzeptes“ (bewährt durch Glück?). Bezüglich Zaun oder
kontrolliertem Gebiet wurde zügig zurückgerudert. Denn Allen, die etwas davon
verstehen ist klar: wenn man die Wiesn sicher haben wollte, müsste man sie
grundsätzlich überdenken.
Wieso gibt es in München kaum Lobby
für mehr Sicherheit? Das Fest ist bei der Bevölkerung mehrheitlich extrem
beliebt so wie es ist. Die immer wieder thematisierten Sodom-und-Gomorra-Zustände,
die Clips von kotzenden und kollabierenden Jugendlichen kommen regelmäßig von Beobachtern
und Medien von Außerhalb (RTL und Co). Münchner Medien zählen lieber Besucher,
Mass und „Hendl“ und berichten live aus den Zelten. Das kann damit zusammen
hängen, dass das Oktoberfest einen ganz erstaunlichen Partizipationsmechanismus
für fast alle hat, die damit zu tun haben. Durch einen historisch entwickelten
Lokalprotektionismus und ein Aufsichtsdiktat der Stadt München, die bis auf
eine kurze Unterbrechung in den 80er Jahren immer eine SPD-Insel im CSU-Land
war, scheint das Fest eine letzte Rückzugsfläche der sozialen Marktwirtschaft
zu sein, wie es sie vor allem in der Gastronomie sonst nicht mehr gibt. Auf der
Wiesn mit zu mischen ist extrem begehrt. Bedienung wird man in den meisten
Zelten nur über Connections. Um einen Platz als Karussel, Bude oder Bierzelt
bewerben sich Hunderte. Warum: Am Bier und dem Drumherum verdienen hier alle
gut.
Das gilt für die Brauereien, die ihre
Zeltpräsenz wider jegliches Kartell- und Complianceverständnis dadurch sicher
haben, dass nur „Münchner Bier“ zugelassen ist – gebraut innerhalb der
Stadtgrenze. So drängt z.B. Luitpold von
Bayern, dessen Vorfahre das Fest schließlich als seine Hochzeitsparty vor 200
Jahren eingeführt hat - mit seiner „Schlossbrauerei Kaltenberg“ seit Jahren
verbissen und vergeblich darauf, zugelassen zu werden. Ebenso wie z.B. die
Andechser Klosterbrauerei (50 km vor München) oder die staatliche
Universitätsbrauerei Weihenstephan (20 km) wird der Prinz regelmäßig abgelehnt
vom Münchner Tourismusamt. Was auch ein bisschen lustig ist, denn die vierzehn
Bierzelte beliefern dadurch letztlich vier Großbrauereien, von denen nur
Augustiner noch „Münchnerisch“ ist. Löwenbräu und Spaten gehören zur Inbev, dem
weltweit größten Brauereikonzern (u. a. Anheuser-Busch, Becks, Diebels) der
wiederum dem Kapitalinvestor 3G Capital gehört (wie Burger King und Heinz), Paulaner
und Hacker-Pschorr gehören zur Hälfte der Heineken-Gruppe, die auch nicht
gerade ein altmünchner Unternehmen ist.
Weitere Großverdiener sind die
„Wiesnwirte“, die Chefs der Bierzelte. Trotz riesigem Aufwand für Aufbau, Abbau
und Lagerung der „Zelte“, die in Wirklichkeit robuste temporäre Holzbauten
sind, (deutlich solider als die Traglufthallen für fugitives) wird deren Gewinn
pro Jahr auf etwa eine Million pro großem Zelt geschätzt. In 16 bis 18 Tagen
immerhin. Die Stadt und Staat achten genau darauf, dass Steuern gezahlt und
Arbeitsstandards eingehalten werden: sehr prominente Wirte haben ihre Zulassung
wegen entsprechender Verfehlungen verloren. Doch auch die Bedienungen, das
letzte Glied in der Lieferkette bis zum Trinker lieben den Job und wer einmal dabei
ist, macht in der Regel auch im folgenden Jahr wieder mit. Nicht wenige nehmen
dafür Urlaub. Die Kellner_innen sind nicht angestellt sondern kaufen dem Wirt
jede Mass Bier in Form von „Bierzeichen“ ab und behalten am Ende jeweils etwa
einen Euro plus Trinkgeld. Zwischen 5 und 8 Tausend Euro Gewinn pro Kellner_in können
da schon zusammen kommen. Klar, dass da Mindestlohn und Dokumentation der
Arbeitszeit kein Thema sind. So etwas wäre in Bayern auch kein Problem: Arbeitsministerin
Emilia Müller erließ 2015 ganz schnell ein paar Sonderregelungen extra für das
Saufgelage, mit denen der „Schutzaspekt des Arbeitszeitgesetzes erfüllt“ sei –
ohne dass seine Bestimmungen umgesetzt werden müssen.
Selbst bei den Gästen sind die
Einheimischen protegiert: 65% der Plätze in den Bierzelten, an Wochenenden
sogar 85%, sind vorreserviert. Eine
Reservierung kostet zwar nichts extra. Eine zu bekommen ist für Ahnungslose
oder Nicht-Münchner aber ziemlich unmöglich. Zunächst bekommen alle die ein
Angebot, die bereits im Vorjahr eine Reservierung hatten. Alle anderen können
im Frühjahr mailen, schreiben oder faxen, allein die Chancen sind nicht groß.
Traditionell gehen Münchner Unternehmen, vor allem auch Mittelständler und
Handwerksbetriebe mit den Mitarbeitern seit jeher auf die Wiesn. Je nach
wirtschaftlicher Lage zahlt der Chef alles oder es werden vorab Gutscheine
verteilt.
So ist für Münchner das ganze Ding
super eingefädelt: alles bleibt, wie’s ist, man kann prima verdienen, wer drin
ist bleibt drin. Inclusive der lokalen Schwulen und Lesbenszene, die ihr
Lieblingszelt, die „Bräurosl“ hat und spezielle Tage, an denen man auch ganz
andere Lederhosen sieht, hat Jede und Jeder scheinbar seinen Spaß. Sogar die
Profitverteilung scheint vergleichsweise fair. Und (für München) nicht einmal
sehr teuer ist es: eine Mass (ca. 0,9 l)kostet um die 11 Euro je nach Zelt. Und
5,50 € zahlt man in den Clubs in der Innenstadt für ein 0,4l Becks allemal. Die
poshen Läden „Käfer“ und „Weinzelt“ überlassen die Münchner gerne der FC
Bayern- und Bussisociety, passt schon. Wer „draufzahlt“, das sind höchstens die
Unerfahrenen unter den Touristen, die begeistert angereist kommen, in der Stadt
viel Geld lassen und denen keiner das Oktoberfest erklärt. Ohne einheimische
Freunde gelangen sie „wegen Überfüllung“ oft gar nicht erst in die Bierzelte. Damit
nicht vertraut vertragen sie dann das heftige Festbier nicht, geben es wieder
von sich und somit die Motive für RTL2 Wiesnhasser-Reportagen ab. Übrigens:
eine Bedienung in einem Bierzelt bringt nur Bier. Wer da glaubt, nach
einer Getränkekarte fragen zu müssen erntet gleich mal höhnisches Gegröle
derer, die schon immer da sind.
Ein neues Sicherheitskonzept? Kaum,
weil ändern soll sich nichts. Und wahrscheinlich ist dieser spezielle
Feierkonservatismus zu träg-fidel, das System zu stabil und selbstverliebt. Man
kann hier einfach nicht glauben kann, dass „uns“ jemand etwas antut, Paris hin,
Brüssel her. Der erste Trinkspruch jedes Jahr, ausgesprochen vom
Oberbürgermeister muss reichen: „Ozapft is - auf eine friedliche Wiesn!“.
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