Montag, 11. Juli 2016

"Durst fressen Angst auf"

Zu der aktuell in München viel beachteten Debatte um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Wiesn ist am 30.6.2016 in der "Jungle World" #26 der Artikel : "Durst fressen Angst auf" erschienen: http://jungle-world.com/artikel/2016/26/54351.html . Natürlich hat der Leiter der Innenredaktion, Markus Ströhlein, wohlwollend ein bisschen redigiert. Hier ist mein ursprünglicher Text zu lesen.


Das Münchner Oktoberfest ist in seinen Ausmaßen und seinem Zuschnitt als Massentankstation der legalen Droge Alkohol  „eigentlich nicht veranstaltbar“. Das sagten Sicherheitsexperten der Münchner Polizei wenn sie unter sich waren bereits von 20 Jahren. Das Wiesn-Attentat von 1980 war da bereits erlebt und Islamistischer Terror noch kein Thema. Es fehlt an Evakuierungsflächen für die täglich ca. 380.000 Besucher, an ausreichend Rettungswegen für Feuerwehr und Krankenwagen, niemand weiß, wie viele oder welche Leute zu bestimmten Zeiten wo sind. Für die Polizei ebenso wie für viele Verantwortliche bei der Stadt München bedeutet es jedes Jahr einen tiefer Seufzer der Erleichterung am Ende der Wiesn: uff, außer ein paar Schlägereien und Taschendiebstählen wieder nichts Schlimmeres passiert.

Im April diesen Jahres wurde bekannt, dass die Stadt München ein neues Sicherheitskonzept etablieren wolle. Zu den nach 9/11 eingeführten Zufahrtsbeschränkungen und einer Art Bannmeile um das Festgelände, die „Theresienwiese“, sollten nun unter dem Eindruck der Anschläge von Paris und Brüssel Taschenkontrollen für alle Besucher,  Beschränkungen bei den Gepäckstücken wie z.B. Rucksäcken sowie ein „mobiler Zaun“, geschaffen werden, der im Falle der Überfüllung (die jährlich an mindestens 4 Tagen gegeben ist) geschlossen werden könne.

Das wäre eine eklatante Charakterveränderung des Festes gewesen, das man bisher ohne Zaun und Eintritt oder Kontrollen von allen Seiten zwanglos betreten und verlassen kann. Sofort wurden auch Sicherheitsexperten wie z.B. der Sicherheitschef des Flughafen Frankfurt zitiert, um die Untauglichkeit der Pläne zu belegen. Einerseits seien durchgängige Taschenkontrollen praktisch undurchführbar bei so vielen Besuchern, ein Zaun viel zu gefährlich im Falle einer Panik. Und andererseits wieder: „wenn wirklich einer einen Anschlag verüben will, dann wird er das trotz Zäunen schaffen.“ Halbherzig seien die Versuche allemal, z.B. einen Täter, wie den von Orlando, an einer Tat zu hindern.

Und es geht ums Geld. Ca. 1 Milliarde Euro werden etwa jährlich in zwei Wochen auf dem Oktoberfest umgesetzt. Keiner der Beteiligten will hier etwas gefährden durch Zugangsbeschränkungen der zahlungswilligen Kundschaft. So liest man inzwischen auf den offiziellen sites der Stadt nur noch von einer „Weiterentwicklung des bewährten Sicherheitskonzeptes“ (bewährt durch Glück?). Bezüglich Zaun oder kontrolliertem Gebiet wurde zügig zurückgerudert. Denn Allen, die etwas davon verstehen ist klar: wenn man die Wiesn sicher haben wollte, müsste man sie grundsätzlich überdenken.

Wieso gibt es in München kaum Lobby für mehr Sicherheit? Das Fest ist bei der Bevölkerung mehrheitlich extrem beliebt so wie es ist. Die immer wieder thematisierten Sodom-und-Gomorra-Zustände, die Clips von kotzenden und kollabierenden Jugendlichen kommen regelmäßig von Beobachtern und Medien von Außerhalb (RTL und Co). Münchner Medien zählen lieber Besucher, Mass und „Hendl“ und berichten live aus den Zelten. Das kann damit zusammen hängen, dass das Oktoberfest einen ganz erstaunlichen Partizipationsmechanismus für fast alle hat, die damit zu tun haben. Durch einen historisch entwickelten Lokalprotektionismus und ein Aufsichtsdiktat der Stadt München, die bis auf eine kurze Unterbrechung in den 80er Jahren immer eine SPD-Insel im CSU-Land war, scheint das Fest eine letzte Rückzugsfläche der sozialen Marktwirtschaft zu sein, wie es sie vor allem in der Gastronomie sonst nicht mehr gibt. Auf der Wiesn mit zu mischen ist extrem begehrt. Bedienung wird man in den meisten Zelten nur über Connections. Um einen Platz als Karussel, Bude oder Bierzelt bewerben sich Hunderte. Warum: Am Bier und dem Drumherum verdienen hier alle gut.

Das gilt für die Brauereien, die ihre Zeltpräsenz wider jegliches Kartell- und Complianceverständnis dadurch sicher haben, dass nur „Münchner Bier“ zugelassen ist – gebraut innerhalb der Stadtgrenze.  So drängt z.B. Luitpold von Bayern, dessen Vorfahre das Fest schließlich als seine Hochzeitsparty vor 200 Jahren eingeführt hat - mit seiner „Schlossbrauerei Kaltenberg“ seit Jahren verbissen und vergeblich darauf, zugelassen zu werden. Ebenso wie z.B. die Andechser Klosterbrauerei (50 km vor München) oder die staatliche Universitätsbrauerei Weihenstephan (20 km) wird der Prinz regelmäßig abgelehnt vom Münchner Tourismusamt. Was auch ein bisschen lustig ist, denn die vierzehn Bierzelte beliefern dadurch letztlich vier Großbrauereien, von denen nur Augustiner noch „Münchnerisch“ ist. Löwenbräu und Spaten gehören zur Inbev, dem weltweit größten Brauereikonzern (u. a. Anheuser-Busch, Becks, Diebels) der wiederum dem Kapitalinvestor 3G Capital gehört (wie Burger King und Heinz), Paulaner und Hacker-Pschorr gehören zur Hälfte der Heineken-Gruppe, die auch nicht gerade ein altmünchner Unternehmen ist.

Weitere Großverdiener sind die „Wiesnwirte“, die Chefs der Bierzelte. Trotz riesigem Aufwand für Aufbau, Abbau und Lagerung der „Zelte“, die in Wirklichkeit robuste temporäre Holzbauten sind, (deutlich solider als die Traglufthallen für fugitives) wird deren Gewinn pro Jahr auf etwa eine Million pro großem Zelt geschätzt. In 16 bis 18 Tagen immerhin. Die Stadt und Staat achten genau darauf, dass Steuern gezahlt und Arbeitsstandards eingehalten werden: sehr prominente Wirte haben ihre Zulassung wegen entsprechender Verfehlungen verloren. Doch auch die Bedienungen, das letzte Glied in der Lieferkette bis zum Trinker lieben den Job und wer einmal dabei ist, macht in der Regel auch im folgenden Jahr wieder mit. Nicht wenige nehmen dafür Urlaub. Die Kellner_innen sind nicht angestellt sondern kaufen dem Wirt jede Mass Bier in Form von „Bierzeichen“ ab und behalten am Ende jeweils etwa einen Euro plus Trinkgeld. Zwischen 5 und 8 Tausend Euro Gewinn pro Kellner_in können da schon zusammen kommen. Klar, dass da Mindestlohn und Dokumentation der Arbeitszeit kein Thema sind. So etwas wäre in Bayern auch kein Problem: Arbeitsministerin Emilia Müller erließ 2015 ganz schnell ein paar Sonderregelungen extra für das Saufgelage, mit denen der „Schutzaspekt des Arbeitszeitgesetzes erfüllt“ sei – ohne dass seine Bestimmungen umgesetzt werden müssen.

Selbst bei den Gästen sind die Einheimischen protegiert: 65% der Plätze in den Bierzelten, an Wochenenden sogar  85%, sind vorreserviert. Eine Reservierung kostet zwar nichts extra. Eine zu bekommen ist für Ahnungslose oder Nicht-Münchner aber ziemlich unmöglich. Zunächst bekommen alle die ein Angebot, die bereits im Vorjahr eine Reservierung hatten. Alle anderen können im Frühjahr mailen, schreiben oder faxen, allein die Chancen sind nicht groß. Traditionell gehen Münchner Unternehmen, vor allem auch Mittelständler und Handwerksbetriebe mit den Mitarbeitern seit jeher auf die Wiesn. Je nach wirtschaftlicher Lage zahlt der Chef alles oder es werden vorab Gutscheine verteilt.

So ist für Münchner das ganze Ding super eingefädelt: alles bleibt, wie’s ist, man kann prima verdienen, wer drin ist bleibt drin. Inclusive der lokalen Schwulen und Lesbenszene, die ihr Lieblingszelt, die „Bräurosl“ hat und spezielle Tage, an denen man auch ganz andere Lederhosen sieht, hat Jede und Jeder scheinbar seinen Spaß. Sogar die Profitverteilung scheint vergleichsweise fair. Und (für München) nicht einmal sehr teuer ist es: eine Mass (ca. 0,9 l)kostet um die 11 Euro je nach Zelt. Und 5,50 € zahlt man in den Clubs in der Innenstadt für ein 0,4l Becks allemal. Die poshen Läden „Käfer“ und „Weinzelt“ überlassen die Münchner gerne der FC Bayern- und Bussisociety, passt schon. Wer „draufzahlt“, das sind höchstens die Unerfahrenen unter den Touristen, die begeistert angereist kommen, in der Stadt viel Geld lassen und denen keiner das Oktoberfest erklärt. Ohne einheimische Freunde gelangen sie „wegen Überfüllung“ oft gar nicht erst in die Bierzelte. Damit nicht vertraut vertragen sie dann das heftige Festbier nicht, geben es wieder von sich und somit die Motive für RTL2 Wiesnhasser-Reportagen ab. Übrigens: eine Bedienung in einem Bierzelt bringt nur Bier. Wer da glaubt, nach einer Getränkekarte fragen zu müssen erntet gleich mal höhnisches Gegröle derer, die schon immer da sind.

Ein neues Sicherheitskonzept? Kaum, weil ändern soll sich nichts. Und wahrscheinlich ist dieser spezielle Feierkonservatismus zu träg-fidel, das System zu stabil und selbstverliebt. Man kann hier einfach nicht glauben kann, dass „uns“ jemand etwas antut, Paris hin, Brüssel her. Der erste Trinkspruch jedes Jahr, ausgesprochen vom Oberbürgermeister muss reichen: „Ozapft is - auf eine friedliche Wiesn!“.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen