Diesmal stelle ich Euch ein Buch vor,
das mir persönlich sehr geholfen hat, zumindest zeitweise eine einigermaßen „erwachsene“
Haltung zu finden zur Corona-Pandemie und ihren strukturbruchartigen Veränderungen
unserer Lebenswirklichkeit. Das Buch als solches ist jetzt nicht ein so
bahnbrechendes Werk, dass es per se Eingang in diesen Blog gefunden hätte. Ich
empfehle es – entgegen dem allgemeinen Zweck von „linie19“ - auch nicht
uneingeschränkt jedem als Lektüre. Aber
es kann helfen, Corona anders zu begreifen. Und es gilt, ein großes
Missverständnis aufzuklären: In den „sozialen“
Medien wird vor allem der griffige englische Titel ständig zitiert und mahnend
genannt als ein Konzept, um mit Hilfe der Corona-Pandämie eine fiese
Weltherrschaft zu errichten. Und das ist
das Buch sicher nicht.
Der Autor Prof. Klaus Schwab ist eigentlich
bekannt und erfolgreich als Erfinder, Gründer und Geschäftsführer des
Weltwirtschaftsforum, World Economic Forum, WEF (weforum.org). Das WEF versteht
sich als „die internationale Organisation für öffentlich-private Kooperation“.
Als solche richtet sie seit Jahren die viel beachtete und regelmäßig von
heftigen Protesten begleitete gleichnamige Veranstaltung in Davos aus. (2021 soll sie in
Singapur stattfinden.)
Die Organisation ist klar marktwirtschaftlich
(kapitalistisch) geprägt. Jedoch sieht sie den reinen, radikalliberalen
Kapitalismus als überholt an, gepriesen wird von Schwab und dem WEF vielmehr
ein „stakeholder-Kapitalismus“, bei dem als Erfolgsfaktoren nicht nur der Spaß
der Eigentümer und deren Rendite zählen, sondern auch alle anderen Beteiligten
(„stakeholder“) wie Mitarbeiter, Kunden, die Gesellschaften, in denen die Unternehmen
eingebettet sind, die Umweltressourcen u.v.m. Kennzeichnend dabei ist für das
WEF der starke Glaube an private-public-partnership. Das WEF versteht sich global,
systemisch und beratend.
Man mag diese Haltung als
idealistisch, unrealistisch oder auch als eine Sammlung von Schutzbehauptungen
sehen, eines ist sie nicht: eine Weltverschwörung. Tatsächlich passte gerade eine globale
Gesundheitsvorsorge und Pandemieprävention schon vor 2020 genau in die Denkweise
des WEF. Natürlich ist aus dessen Sicht dabei an die Pharmaindustrie zu denken.
Aber auch an die unterschiedlichen Staaten, in denen eine Pandemie bekämpft
werden muss, die Auswirkungen einer solchen Krise auf Wirtschaftssubjekte jeder
Größe von prekären Einzelunternehmern oder Arbeitern bis zu regionalen oder
internationalen Unternehmen, internationale Bündnisse und Feindschaften, NGOs, einfach
alles muss betrachtet werden. Und wenn möglich muss zwischen all diesen
stakeholdern eine Kooperation organisiert werden. Dass das WEF dabei unter
anderem so eng mit der Bill and Melinda
Gates Stiftung kooperiert, ist auf diesem Feld der Ausdruck der oben
genannten Ãœberzeugung, dass „privat“ und „öffentlich“ zusammen arbeiten
sollten.
So denkt Schwab, und wenn es nicht so
tragisch wäre, könnte man sagen, dass ihm die Covid- 19 Pandemie jetzt richtig
zu Pass kommt. Denn nun kann er sein vernetztes, systemisches, internationales Denken an Hand dieser sehr konkreten,
vernetzten, systemischen, internationalen Krise formulieren.
Und genau das tut er in dem Buch „Der
große Umbruch“ zusammen mit seinem CoAutor Thierry Malleret. Das Buch erschien
im Juni 2020, also mitten im Verlauf der Pandemie aber vor der „2. Welle“ in
Europa. „Vorrangiges Ziel des Buches ist es, den künftigen Entwicklungen in
verschiedensten Bereichen Rechnung zu tragen“ (KindlePos.11). Das Buch befasst sich erstens mit den zu
erwartenden Auswirkungen von Covid 19 auf die Zukunft, die nach Ansicht der
Autoren „weitreichend und dramatisch“ sein werden. Und zweitens immer damit
verwoben mit den Mitteln und Methoden, wie diesen Auswirkungen begegnet werden
sollte.
Betrachtet werden dabei Auswirkungen
auf Wirtschaft, Gesellschaft, Geopolitik, Umwelt und Technologie. Danach schaut
das Buch speziell auf verschiedene Branchen und Unternehmen und in einem
dritten Kapitel geht es um mögliche Folgen für die Einzelnen.
Diese Erläuterungen der möglichen
Auswirkungen finde ich dann ziemlich unterschiedlich in ihrer Qualität und
Ãœberzeugungskraft. Man merkt hier und da schon, dass das Buch hopplahopp
innerhalb kürzester Zeit fertig gestellt wurde. Es gibt durchaus lange Stellen
mit Binsenweisheiten und Wiederholungen.
Einige Gedankengänge sind jedoch sehr
fesselnd und vor allem eben systemisch gedacht, platt gesagt, es wird
berücksichtigt, dass alles mit allem zusammen hängt.
Die Auswirkung von Covid 19 auf die
Weltwirtschaft wird demnach vor allem
eines sein: immens. Das Buch erläutert das Wissen aus früheren Pandemien und
verknüpft diese mit den Merkmalen der heutigen Wirtschaft: Interdependenz,
Schnelligkeit und Komplexität. Daraus folgt, dass die Auswirkungen dieser Pandemie
stärker sein werden als von je einem Ereignis zuvor einschließlich II.
Weltkrieg, 9/11 und allem anderen. Und der größten ökonomischen Krise der Geschichte
mit all ihren Auswirkungen sollte/könnte die Menschheit mit anderen Mitteln
begegnen, als den bisher angewandten.
Beispiele: Das Wirtschaftswachstum wird einbrechen und sich lange nicht mehr erholen. Daraufhin könnte die Weltgemeinschaft mit der Etablierung eines qualitativen, nachhaltigen Wirtschaftswachstums einschließlich green economy reagieren. Es wird zu weltweiter Arbeitslosigkeit von riesigem Ausmaß kommen. Andererseits werden örtlich Arbeitskräfte fehlen, die Reaktion sollte eine Umverteilung von Reichtum von Oben nach Unten sein. Ja, das ist nicht logisch, das habe ich beim Lesen auch gedacht.
Anderes Beispiel: das Virus entspringt auch einer fortgeschrittenen Naturausbeutung. Der Umgang mit Tieren, Luftverschmutzung et.c. haben ihn begünstigt. Andererseits bewirken die Lockdowns einen sofortigen Rückgang der CO2 Emissionen. Daraus könnte die Welt lernen und fürderhin ökologischer wirtschaften.
Thema technologischer Umbruch: hier ist
das Buch am überzeugendsten: Covid 19 bedeutet einen boost für den
Technologiewandel. Die Chancen, die sich daraus ergeben versteht jeder. Schwab warnt in diesem Zusammenhang
ausdrücklich vor einer Ausuferung der persönlichen Überwachung im Nachgang von
Tracing und Regulierung. Er verlangt, dass dem etwas entgegen gesetzt werden
muss!
Es gibt noch viele weitere Fundstücke
in dem Buch für Interessierte, manches überzeugend, manches auch etwas
fabelhaft.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass in
dem Buch keinerlei Aufforderungen, Verabredungen oder auch nur Hinweise gibt,
dass Covid 19 absichtlich ausgelöst worden sein könnte, dass die Demokratie
abgeschafft werden sollte, das Menschen durch Meditech versklavt werden sollten
oder ähnliches. Bei „The Great Reset“ handelt es sich um kein Handbuch der
Verschlimmerung sondern eher um idealistische Ratschläge und Diskussionsbeiträge
(z.B. für die nächste Veranstaltung des WEF).
Vorwerfen könnte an den Autoren allerdings Naivität. Dass die
Methoden, die in eine Krise geführt haben nicht die gleichen sein können, um
sie zu überwinden, das betet immer jeder
Change-Berater vor. Allein befolgt wird diese Weisheit eben oft nicht.
Ein weiterer Kritikpunkt: die lässige Hinnahme von Unternehmerfamilien
als „privater Sektor“. Privatpersonen und deren Anhang, die märchenhaft reich
geworden sind durch Instrumente der massiven Erhöhung der Produktivität (z.B. Microsoft
von Windows bis Office) ohne dass dabei ein gerechter Ausgleich für die Öffentlichkeit
geleistet wurde z.B. in Form von Rentenzuschüssen oder oft auch nur gerechten
Steuern. Diese Erscheinungen von Megareichtum sind nach begründeter Meinung vieler nicht rein privater Natur.
Wie hat „Der große Umbruch“ mir geholfen? Was das Buch wirklich gut schafft ist den Blick zu weiten um die Ereignisse der Pandemie als Auswirkungen eines Veränderungsprozesses zu begreifen, der nun einmal gerade abläuft. Der Fokus wird von den deprimierenden offenbar unumgänglichen Maßnahmen im Hier und Jetzt abgelenkt, gelenkt auch in die Zukunft, wie alles werden kann. Plötzlich hat die Pandemie für mich ein klares „Danach“ bekommen und wurde gewissermaßen professionell begreifbar. Sobald ich, angeregt von dem Buch, über die gesamten komplexen Zusammenhänge und ihre Möglichkeiten für die Zukunft nach gedacht habe, begann ich mich weniger ohnmächtig zu fühlen. Anders als zuvor, als ich mir wöchentlich vergeblich Orientierung erhoffte von den nervigen, hilflosen Statements mancher Politiker. Diese sind jetzt eben auch nur kleine Elemente im soundsovielten Unterkapitel des „Great Reset“.
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