Montag, 29. Februar 2016

Lesetipp Februar: Ule Hansen, Neuntöter



Ich habe wieder eine heiße Empfehlung für Euch und es ist diesmal ein Thriller: Ule Hansen, Neuntöter.
Der komplett deutsche Krimi, der im heutigen Berlin spielt und von einem deutschen Autorenduo (Astrid Ule und Eric T. Hansen) geschrieben wurde, erscheint diese Woche im Heyne Hardcover Verlag, Random House.

In einem Raumgerüst, einem scheinbaren Gebäude, das nur aus einer Stofffasade auf einer Freifläche besteht, werden drei Kokons aus Panzertape im Gerüst hängend gefunden.  Selbstverständlich enthält jede der Hüllen eine Leiche, einen Menschen, der verhungert und verdurstet ist in seiner schauerlichen Verpuppung. Die Protagonistin bei den nun folgenden Ermittlungen ist die Fallanalystin („Profilerin“) Emma Carow.
Und wenn es auch inzwischen schwer geworden ist für Thrillerautoren, immer noch abgefahrenere Tötungsarten und – Motivationen zu erfinden, so zeigt dieses Buch, dass es darauf ankommt, wie glaubwürdig und in sich schlüssig die abgründigen Mordgeschichten sind. In diesem Fall entblättert die Abteilung Fallanalyse der Berliner Kripo ein letztlich vorstellbares, wenngleich selbstverständlich zutiefst pathologisches Gedankengebäude, das wohl im Ergebnis zu den hängenden Toten geführt haben muss. Ich verrate hier natürlich nichts Genaueres, nur, dass es nicht bei drei Opfern bleibt, dass Familiengeschichten und Missbrauch eine Rolle spielen und auch Gemeinschaften ähnlich der Colonia Dignidad in Chile – über die ja scheinbar ganz zufällig dieser Tage ein Kinofilm angelaufen ist.
Jedenfalls beginnt einen die Geschichte der Leichen und ihrer Hersteller – schnell wird der Polizei nämlich klar, dass es sich um mehrere Täter handeln muss – dermaßen zu fesseln, dass man die gute Frau Carow überhaupt nicht mehr verlassen mag, sprich das Buch weglegen.
Doch nicht genug, neben der zu ermittelnden Haupthandlung ist in diesem Krimi auch die Nebenhandlung, die persönliche Geschichte der Heldin wirklich fein gelungen. Die Autoren zeichnen eine Person mit Schwierigkeiten im kollegialen Umgang, überhaupt im Kontakt. Die Ursache dafür ist ein abscheuliches Erlebnis im Alter von 19 Jahren, das zu überwinden sie fortwährend beschäftigt und das sie dazu gebracht hatte, Polizistin zu werden. Emma Carow wird uns sympathisch, sie macht immer wieder neugierig, man möchte das Gesicht verziehend den Kopf wegdrehen, wenn sie es sich ungeschickt auch noch mit den wenigen Menschen zu verderben droht, mit denen sie so etwas wie Zuneigung verbindet. Ihre Bettgeschichten sind filigran geschildert und inhaltlich hart. Wunderbar aufgegriffen der schmale Grat zwischen „ja“ und „nein“ und was was bedeutet an der Grenze zum übereinander Herfallen … so verständlich, so verlockend und doch so unvoyeuristisch mit Hang zum Tragischen ist hier die Schreibe – ja, ist man noch in einem Krimi? An diesen Stellen ist der Thriller beste zeitgenössische Literatur.
Ebenfalls sehr gut gefällt mir an diesem Krimi die Kulisse: Berlin. Berlin mit seinen glänzenden und seinen verratzten Ecken, seinen Kneipen, seinen Berliner Taxifahrern, ja, auch diese dürfen nicht fehlen. Und die verästelten Strukturen der Polizeibehörde mit Postengerangel, mehr oder weniger kompetenten Chefs, engagierten und eher mitlaufenden Beamten. Alles sehr sehr glaubwürdig, lebensnah und vorstellbar.
Alles in allem ein wirklich fesselndes, gutes Buch, weit mehr als ein whodunnit, das nur an wenigen Stellen aus nicht recht verständlichen Gründen aus dem Ruder läuft und ins Lara - Croft - artige abdriftet. Warum nur? Weder der Plot noch die Spannung hätten das nötig gehabt. Dennoch überwiegt absolut der Lesegenuss und ich will mal schwer hoffen, dass Ule und Hansen noch mehr solch hervorragende Thriller gelingen werden.