Ich habe wieder eine heiße Empfehlung für Euch
und es ist diesmal ein Thriller: Ule
Hansen, Neuntöter.
Der komplett deutsche Krimi, der im
heutigen Berlin spielt und von einem deutschen Autorenduo (Astrid Ule und Eric
T. Hansen) geschrieben wurde, erscheint diese Woche im Heyne Hardcover Verlag,
Random House.
In einem
Raumgerüst, einem scheinbaren Gebäude, das nur aus einer Stofffasade auf einer
Freifläche besteht, werden drei Kokons aus Panzertape im Gerüst hängend
gefunden. Selbstverständlich enthält
jede der Hüllen eine Leiche, einen Menschen, der verhungert und verdurstet ist in
seiner schauerlichen Verpuppung. Die Protagonistin bei den nun folgenden
Ermittlungen ist die Fallanalystin („Profilerin“) Emma Carow.
Und wenn es
auch inzwischen schwer geworden ist für Thrillerautoren, immer noch
abgefahrenere Tötungsarten und – Motivationen zu erfinden, so zeigt dieses
Buch, dass es darauf ankommt, wie glaubwürdig und in sich schlüssig die
abgründigen Mordgeschichten sind. In diesem Fall entblättert die Abteilung
Fallanalyse der Berliner Kripo ein letztlich vorstellbares, wenngleich
selbstverständlich zutiefst pathologisches Gedankengebäude, das wohl im
Ergebnis zu den hängenden Toten geführt haben muss. Ich verrate hier natürlich
nichts Genaueres, nur, dass es nicht bei drei Opfern bleibt, dass
Familiengeschichten und Missbrauch eine Rolle spielen und auch Gemeinschaften
ähnlich der Colonia Dignidad in Chile – über die ja scheinbar ganz zufällig
dieser Tage ein Kinofilm angelaufen ist.
Jedenfalls
beginnt einen die Geschichte der Leichen und ihrer Hersteller – schnell wird
der Polizei nämlich klar, dass es sich um mehrere Täter handeln muss – dermaßen
zu fesseln, dass man die gute Frau Carow überhaupt nicht mehr verlassen mag,
sprich das Buch weglegen.
Doch nicht
genug, neben der zu ermittelnden Haupthandlung ist in diesem Krimi auch die
Nebenhandlung, die persönliche Geschichte der Heldin wirklich fein gelungen.
Die Autoren zeichnen eine Person mit Schwierigkeiten im kollegialen Umgang,
überhaupt im Kontakt. Die Ursache dafür ist ein abscheuliches Erlebnis im Alter
von 19 Jahren, das zu überwinden sie fortwährend beschäftigt und das sie dazu
gebracht hatte, Polizistin zu werden. Emma Carow wird uns sympathisch, sie
macht immer wieder neugierig, man möchte das Gesicht verziehend den Kopf
wegdrehen, wenn sie es sich ungeschickt auch noch mit den wenigen Menschen zu
verderben droht, mit denen sie so etwas wie Zuneigung verbindet. Ihre
Bettgeschichten sind filigran geschildert und inhaltlich hart. Wunderbar
aufgegriffen der schmale Grat zwischen „ja“ und „nein“ und was was bedeutet an
der Grenze zum übereinander Herfallen … so verständlich, so verlockend und doch
so unvoyeuristisch mit Hang zum Tragischen ist hier die Schreibe – ja, ist man
noch in einem Krimi? An diesen Stellen ist der Thriller beste zeitgenössische
Literatur.
Ebenfalls
sehr gut gefällt mir an diesem Krimi die Kulisse: Berlin. Berlin mit seinen
glänzenden und seinen verratzten Ecken, seinen Kneipen, seinen Berliner
Taxifahrern, ja, auch diese dürfen nicht fehlen. Und die verästelten Strukturen
der Polizeibehörde mit Postengerangel, mehr oder weniger kompetenten Chefs,
engagierten und eher mitlaufenden Beamten. Alles sehr sehr glaubwürdig,
lebensnah und vorstellbar.
Alles in
allem ein wirklich fesselndes, gutes Buch, weit mehr als ein whodunnit, das nur
an wenigen Stellen aus nicht recht verständlichen Gründen aus dem Ruder läuft
und ins Lara - Croft - artige abdriftet. Warum nur? Weder der Plot noch die Spannung
hätten das nötig gehabt. Dennoch überwiegt absolut der Lesegenuss und ich will
mal schwer hoffen, dass Ule und Hansen noch mehr solch hervorragende Thriller
gelingen werden.